Schwerin wird Landeshauptstadt

Woche für Woche können Sie hier nachlesen, was vor 30 Jahren los war. Wie das Land entstand. In dieser Woche fällt die Entscheidung über die Landeshauptstadt.

21. Oktober

Landtag: Im Plenarsaal wird bis tief in die Nacht gearbeitet, damit der Raum bis zur ersten Sitzung in fünf Tagen einsatzbereit ist.

Boxen: Torsten Bengtson aus Schwerin wird Junioren-Weltmeister im Halbschwergewicht.

Verkehr: A24, A19 – die Autobahnen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR tragen jetzt Nummern. Verbindungen, die in West-Ost-Richtung verlaufen, erhalten gerade Bezeichnungen, Nord-Süd-Verläufe ungerade. Das Autobahnnetz der DDR war nur für interne Zwecke nummeriert.

Und das noch: Zum ersten Mal gewinnt eine Frau den Deutschland-Pokal des Deutschen Skat-Verbandes. Erika Suhling aus Bremerhaven setzte sich bei dem Turnier in Hamburg gegen 3000 Teilnehmer durch.

22. Oktober

Landtagswahl: Wolfgang Schulz kippt das Landtags-Patt. Der nach seinem Austritt aus der SPD nun parteilose Abgeordnete entscheidet sich, dem designierten Ministerpräsidenten Alfred Gomolka den Rücken zu stärken. Damit erreicht die CDU-FDP-Koalition eine regierungsfähige Mehrheit. Wolfgang Schulz soll Bürgerbeauftragter werden.

Hauptstadtfrage: Ein Gutachten empfiehlt Schwerin, Rostock den Vortritt zu lassen. Nach Ansicht der Gutachter könnten sich die Industriepotentiale der Hansestadt besser an den Markt der Bundesrepublik anpassen als der vorrangig landwirtschaftliche geprägte Alt-Kreis Schwerin. Und ein wirtschaftlich gesundes Rostock wirke sich positiv auf das gesamte Land aus, argumentierten die Verfasser.

Und das noch: Die ersten Marinesoldaten aus MV legen in Rostock ihr feierliches Gelöbnis ab. Die 546 jungen Männer geloben, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“ zu verteidigen.

23. Oktober

Landtag: Der neu gestaltete Plenarsaal erhält seinen letzten Schliff. Am Freitag nehmen hier 66 Abgeordnete zur ersten Landtagssitzung Platz.

Vorbereitungen: Rostock oder Schwerin? Die Frage der Landeshauptstadt entscheidet sich zwar erst Ende der Woche. Die Arbeiten an den künftigen Ministerien laufen aber schon auf Hochtouren. Im Finanzministerium in der Schlossstraße sind 55 der 120 Büro fertig eingerichtet. Im Ministerium für Umwelt und Naturschutz, es befindet sich auf der anderen Straßenseite, gleich neben der Staatskanzlei, stehen 54 Räume bereit. In fünf Wochen sollen 20 weitere fertig sein. Für die Industrie- und Handelskammer bedeutet das: Sie muss aus dem Gebäude ausziehen.

Das Finanzministerium (links) befindet sich noch immer an seinem ursprünglichen Platz. Gegenüber haben heute das Energieministerium und der Bürgerbeauftragte ihren Sitz. Foto: Kuska

Löhne: Sieben Stunden hat es gedauert. Dann sind sich der Arbeitgeberverband Mecklenburg-Vorpommerns und die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen einig: Beschäftigte im Großhandel erhalten mehr Geld. Der Gehaltsabschluss entspricht 55 Prozent des Hamburger Großhandelstarifs und soll zum 1. November in Kraft treten.

Kirche: In den neuen Bundesländern treten viele Menschen aus der Kirche aus. Auch in MV. Ein Grund dafür ist die geplante Abführung der Kirchensteuer. In der DDR glich sie seit Mitte der 1950er-Jahre einem freiwilligen Beitrag. Nun soll sie wie im westlichen Teil Deutschlands staatlich erhoben werden.

24. Oktober

Landtagswahl: Die Regierungskoalition aus CDU und FDP steht. Beide Seiten hatten bis zuletzt um inhaltliche Fragen gerungen. Ein Streitpunkt war die Besetzung der Minister- und Staatssekretär-Ämter. Ein anderer die Forderung der FDP nach einer eingeschränkten Richtlinienkompetenz für den Ministerpräsidenten. Alfred Gomolka (CDU) bezeichnete die Koalitionsvereinbarung als schwere, aber glückliche Geburt. „Das Koalitionskind ist sauber gewickelt und hat gute Entwicklungschancen“, zitiert ihn die SVZ. FDP-Vorsitzender Walter Goldbeck verglich die getroffenen Vereinbarungen mit einer Vernunftehe, die die Belange beider Seiten berücksichtige.

Landtagswahl: Der Wahlausschuss bestätigt die endgültigen Wahlergebnisse der Landtagswahlen vom 14. Oktober.

Und das noch: Minister und Studenten unter einem Dach. So lautet die Devise für das Ministerium für Wirtschaft, Technik, Energie, Verkehr und Tourismus in der Schweriner Stellingstraße. Denn: In den kommenden Monaten sollen im dritten und vierten Obergeschoss parallel auch noch Studenten des Pädagogischen Instituts „Paulshöhe“ wohnen.

25. Oktober

Landtagswahl: Das Kabinett steht. Der designierte Ministerpräsident Alfred Gomolka stellt sein Kabinett vor. Die Christdemokraten sind darin mit sechs Personen vertreten. Die FDP stellt zwei Kabinettsmitglieder: Sozialminister: Klaus Gollert (FDP), Innenminister: Georg Diederich (CDU), Justizminister: Ulrich Born (CDU), Finanzministerin: Bärbel Kleedehn (CDU), Wirtschaftsminister: Conrad-Michael Lehment (FDP), Landwirtschaftsminister: Martin Brick (CDU), Umweltministerin: Petra Uhlmann (CDU), Kultusminister: Oswald Wutzke (CDU).

Und das noch: Leticia Koffke, im September 1990 zur ersten und einzigen „Miss DDR“ gekürt, wird Zweite bei „Queen of the World“. Miss DDR. Zweitschönste Frau der Welt. Fehlt noch „Miss Germany“? Den Titel holt sie sich im Dezember auch noch.

26. Oktober

Landtag: 10.08 Uhr. Schweriner Schloss. Plenarsaal. Alterspräsident Friedrich Täubrich eröffnet die erste Landtagssitzung. Die Abgeordneten wählen Rainer Prachtl zum ersten Landtagspräsidenten beraten unter anderem über die vorläufige Geschäftsordnung und ein Abgeordnetengesetz. Und beschließen mit einer Gegenstimme und sechs Enthaltungen, alle Landtagsmitglieder auf eine Mitarbeit beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bzw. Amt für Nationales Sicherheit (AfNS) zu überprüfen. Nach sieben Stunden ist die erste Landtagssitzung in MV Geschichte. Radio Mecklenburg-Vorpommern (RMV) überträgt die Sitzung live.


Wie verlief die erste Landtagssitzung? Worüber haben die Abgeordneten debattiert? Wer hat was gesagt? All das steht im Plenarprotokoll. Darin wird jedes in einer Landtagssitzung gesprochene Wort notiert. Bis heute. Die Dokumente sind auf der Homepage des Landtags unter „Parlamentsdokumente“ frei zugänglich. Lesen Sie doch mal rein.

Hauptstadtfrage: Güstrow bringt sich als Landeshauptstadt ins Spiel. „Nach all den Diskussionen, die es um die Landeshauptstadt gegeben hat, und den Unstimmigkeiten, die bis zum heutigen Tag bestehen, stellen wir jetzt den Antrag bzw. signalisieren wir, dass wir Landeshauptstadt werden wollen“, äußerte Landrat Christian Beckmann in der SVZ.

Bundestag: Zur Wahl am 2. Dezember sind 40 Parteien zugelassen.

Und das noch: Die Eisenbahner drohen auch in MV mit Streik. Die Reichsbahner fordern 50 bis 60 Prozent der Bundesbahngehälter.

27. Oktober

Landtag: Punkt eins am zweiten Sitzungstag ist die Wahl des Ministerpräsidenten. Es gibt nur einen Kandidaten: Alfred Gomolka. 36 Abgeordnete – und damit auch zwei aus der Opposition – stimmen für ihn, 29 votieren mit „Nein“, eine Person enthält sich. Damit ist der CDU-Politiker zum ersten Ministerpräsidenten von MV gewählt. Seine erste Amtshandlung: die Vereidigung der Ministerinnen und Minister.

Landtag: 11:54 Uhr. Es ist totenstill, als Landtagspräsident Rainer Prachtl die unterbrochene Sitzung fortsetzt. Wer wird Landeshauptstadt? Die Entscheidung ist in geheimer Wahl gefallen. Und der Gewinner ist: Schwerin! „Anhaltender Beifall im ganzen Haus“, steht dazu im Wortprotokoll der Sitzung. Und wie wurde abgestimmt? 40-mal für Schwerin, 25-mal für Rostock plus eine Stimmenthaltung. Am Abend wird gefeiert: Schwerins Oberbürgermeister Johannes Kwaschik lädt die Bürger zu einem Fest ein. Ort: Alter Garten, gleich neben dem Schloss.

Und das noch: In Güstrow wird der Landesanglerverband Mecklenburg-Vorpommern gegründet. Seine wichtigste Aufgabe sieht er darin, gute Bedingungen für Hobby und Umweltschutz zu sichern.